patchwork souls move closer

Ich sehe, wie du mich anschaust, und alles, was ich denken kann, ist, dass du es verdienst, genau so angesehen zu werden. 

Also lass mich, lass mich allein. Lass mich in Ruhe, ich meine es nicht so, bleib hier. Hör auf. Hör auf, so gut zu mir zu sein; hör auf, mich so anzuschauen. Ich kann nicht, kann dir nicht geben, was du suchst, ich will. Ich will es versuchen.

Ich stochere in einem Gefühlschaos, über das ich längst den Überblick verloren habe. Ich suche nach Struktur, nach dem kleinsten bisschen Halt, aber da ist nichts, nichts, dessen ich mir sicher sein kann. Was will ich, was will ich nicht; was gibt mir das Recht, zu entscheiden.

Wenn du mich ansiehst, mit dieser vollkommenen Offenheit. Da ist nichts Falsches in deinem Blick; nichts, was mir den Weg versperrt, absolut nichts. Alles, was mir entgegen strömt aus diesem Blick, ist Wärme. Wärme von einem solchen Ausmaß, dass ich mich schäme, sie anzunehmen. Ich schäme mich, wie man sich für ein viel zu großes Feuer schämen kann, wenn man der einzige ist, der sich daran wärmt, obwohl doch so viele frieren. 

Gib mir Schmerz. Gib mir Enttäuschung, und Wut, und Dunkelheit, denn das ist mir vertraut; das sind Dinge, mit denen ich etwas anfangen kann. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll; mit dem, was du mir anvertraut hast. Was du mir gibst. Du hast dich mir entgegen geworfen, noch sehr viel entschlossener, als ich geahnt hatte, und jetzt halte ich dich, und du mich, und wir uns gegenseitig, und ich warte auf den Fall. Aber du lässt nicht los.

Du hast noch immer nicht losgelassen.

footsteps on the concrete

Noch kleben ein paar Blätter wie vergessen an Astspitzen.

Die meisten finden sich am Boden wieder, in spielerischen Kreiseln, und dann vermatscht, verrottend. Die Kälte greift den Menschen ungeniert dahin, wo es sie ohnehin schon friert. Der Wind fährt ihnen beschwichtigend durchs Haar.  

Er sagt: Langeweile führt zu Stumpfsinn. Langeweile, und dieser damit verknüpfte, ständige Drang nach Neuem, nach neuer Information, neuem Geschehnis in allem, bloß nicht in der eigenen Welt; ich weiß nicht, das macht mich krank. Ich klicke, ich rase durch virtuelle Räume, grase sie nach Worten ab, nach neuen Worten, und dort war ich schon, aber hier noch nicht, und hier finde ich nur, was bereits bekannt ist, also: weiter. Weiter, klick, ich komme nicht zur Ruhe, ich kann die Sucht nicht stillen, diesen Durst; es gibt so vieles, was entdeckt werden will, und wenn ich nur einen Moment inne halte, steigt der Durst mir wieder die Kehle hoch, trocknet mir den Mund und lässt mich lechzen nach mehr.

slip into the clouds

Ich stehe zerstreut und nur zur Hälfte anwesend vor ein paar Kon-servendosen, als mich zwei Hände sanft an den Schultern greifen. 

Warm fühlt sich das an, und beiläufig zugleich; in meinem Kopf zerstauben Gedankenwolken, ich drehe mich, drehe den Kopf leicht-schräg nach oben, Richtung Zärtlichkeit. Vage Nähe, ein entschuldigendes Lächeln. Mein fragender Blick weicht auf; ich spüre, wie sich sein Lächeln in meinem widerspiegelt; ich begreife nicht ganz, aber ein wenig. 

Manche Worte finden einen Nachklang in dir. Viele verhallen, wenn auch nicht ungehört, so doch kaum mit großer Achtsamkeit bedacht; und eben weil es so viele sind, so viele Gespräche, so viel Austausch, muss das vielleicht so sein. Bescheiden sind sie, knicksen artig, schon kurz nachdem sie auf die Bühne geschubst wurden, und machen ihren Abgang, verschwinden still und leise in der Versenkung.

Manche jedoch, die rühren etwas in dir an; vielleicht ist es so, dass du auf sie gewartet hast, auf genau diese Worte, ohne es zu wissen; vielleicht gab es den Widerhall schon, in dir, irgendwo in dir drin, und jetzt, wo jemand diese Worte ausgesprochen hat, da regt sich etwas, da lässt es sich nicht mehr stillschweigen. Es regt sich, und das ist kein zaghaftes Klopfen an verschlossener Tür; das ist gesprengte Ketten und gewaltiges Aufatmen.

Worte, auf die man gewartet hat, und an die man zu glauben hoffte. Weißt du, das ist mehr als man beschreiben kann. Es ist nicht so, als hallten diese Worte bloß nach in dir, wie ein gewöhnliches Echo, spöttisch verzerrt und mit der Zeit verblassend. Es ist, wenn man das behaupten kann, genau umgekehrt. Ein umgekehrtes Echo; denn je mehr Zeit vergeht, und je öfter sie dir ins Gedächtnis rufen, desto klarer wird ihre Botschaft, desto lauter und dringlicher werden sie. Sie krallen sich in dir fest.

Siehst du mich nicht, ruft die Essenz; hier bin ich doch, kannst du mich nicht glauben? Hast du noch immer nicht die Kraft, den Mut, dich mir zuzuwenden? Hast du wirklich nur rasch geblinzelt; kannst du das, wie lange kannst du das noch tun? 

Ist es möglich, dass es die eigenen, wahren Wünsche und Träume sind, die einem die größte Angst machen?

walking contradictions

It's like talking to a very close friend, but better. 
It's like playing poker with someone whose face you cannot see. 
To write is to free the monsters.

Schreiben ist Losboxen von allem, was sich an mich gehängt hat und Fäden zieht. Schreiben ist Fass Mich Nicht An, und Endlich Für Mich Sein. Die einzige Person, die mir das verweigern kann, bin ich selbst; und das habe ich lang genug getan. Schreiben kann mich nicht fesseln, kann mich niemals in Ketten legen; es ist alles, was ich verneine, und genau deshalb ein Teil von mir. Es ruft die größten Schatten aus mir heraus, die grausamsten Gestalten aus den hintersten Winkeln; und dafür danke ich ihm. Ich liebe es dafür, dass es mich hässlich und schön zugleich macht, dass es mich mein Selbst vergessen lässt, und zur gleichen Zeit immer dahin zurückführt. 

Nie bin ich mehr ich selbst als im Moment des Schreibens.

purring for high definition

"Geborgenheit", sage ich irgendwann.

"Hat auch viel mit Glücklichsein zu tun." Auf dem Bildschirm meines Laptops bewegt sich ihr Kopf bestätigend auf und ab. Die Pixel lassen zu wünschen übrig; ich betrachte das kleine Bild, das bin ich, ich lächle. 

"Bei wem fühlst du dich denn geborgen?", fragt sie. Mein Blick wandert wieder zu ihr zurück; ihre Augen schauen fragend, ihr Blick ist warm, und müde. Ich nenne ein paar Namen, ein paar wenige; dann verstumme ich. Sie hat ihren Kopf aufs Kissen gelegt, und eine Weile schauen wir bloß. 

Dann tippe ich ein paar Worte, und drücke die Enter-Taste, mit Nachdruck. Das ist wie Flüstern, denke ich; wie ein heimliches Flüstern, obwohl niemand im Raum ist, aber es soll doch keiner hören. 

Sie strahlt.  

all your fumble words

"Und dann hab ich mich eine Woche lang nicht gespürt", sagt sie und flicht ihre Finger in meine. Mir ist warm und schläfrig zumute. 

"Wie meinst du das", murmle ich, "Dich nicht gespürt?" 

Sie überlegt kurz. "Das ist, als sei man irgendwie betäubt, irgendwie gar nicht da. Ich hab das erst hinterher gemerkt, als es vorbei war. Ist ziemlich krass gewesen." Ihr Daumen streichelt über mein Handgelenk. "Wegen so was fangen Leute an, sich zu ritzen. Oder sich den Finger in den Hals zu stecken. Weil sie die Realität wieder spüren wollen. Es gibt nur zwei Wege, die aus dieser Unwirklichkeit raus führen: Schmerz, und Sex."

Ich liege neben ihr und bin auf einmal sehr wach. 

Du weißt gar nicht, wie gut ich das nachvollziehen kann, denke ich. Du weißt gar nicht, wie wenig ich gerade da bin, wie viel ich dir gern geben würde und nicht geben kann. Du gibst dich mit einem Schatten zufrieden; das ist es, was du tust. 

Ich bin nicht wirklich hier. Ich weiß nicht, wer das ist, der da neben dir im Bett liegt, dir bereitwillig einen Mund bietet, einen Körper, und nicht mehr. Leer bin ich, und meine Hülle wandelt unbeirrt durch Straßen, durch Betten und Köpfe und hinterlässt Spuren, die ich nicht verstehe; Spuren wie die Kleidungsstücke, aus denen man sich nach trunkener Nacht geschält hat und die man völlig gedankenlos auf den Fußboden fallen ließ, und die man am nächsten Morgen betrachtet mit nichts als einer dunklen Ahnung, wie sie dahin gekommen sein könnten, wo sie eben nun verstreut liegen.

knocking at my windows

A friend of mine is in the habit of telling me those kind of truths you don't want to hear.

Everybody is replaceable,” she says, looking at me firmly. “We all are, but nobody wants to hear about it. Nobody wants it to be true.” 

I stare back at her and catch myself shaking my head vehemently. I stop shaking it. “But, … It doesn't feel this way. It doesn't feel like everybody is replaceable,
 I say.

She nods, somehow lenient. “I know. But everybody is. There are millions and millions of people. You meet some of them, and some of them you don't. You become intimate with some of them, because of these factors we were talking about... Like, nearness.”

And similarity, I say. “Attraction.”

Yeah, right. And you can have that with more than just one person. You could have the exact same amount of closeness, and feeling happy and understood, with thousands of other people. Those you know now you met by chance, and you can meet others accidentally.”

She spreads her arms. “It's just a big raffle.”

I look at her, feeling the words sink in. I can't help but see the logic, and I can't help but feel absolutely horrified by it.

She leans back in her chair. “I find this incredibly comforting.”

watching hastiness unfold

Der rot-violette Fleck an meinem Hals verblasst schon. 

Nach Minze hat sie geschmeckt, und ein bisschen süß. Ein bisschen salzig, und anders als gedacht. Alles an ihr ist Verwandlung, Transformation: Von dem Bild, das ich ursprünglich von ihr hatte – dem Mädchen, als das ich sie kennen lernte – bis hin zu der Person, die sich mir jetzt zeigt. Die sagt, Du riechst unglaublich gut, und beginnt, mich zu verschlingen. Die mich an sich presst, ganz fest. Deren leidenschaftliche Gier selbst in Atempausen nur schlummert, nie versiegt.

Eigentlich hätte ich es ahnen können. Als sie in der Schlange wartete und mir zuwinkte. Als unsere Arme auf der Lehne zwischen den Kinositzen aneinander lehnten. Als sie von der Toilette zurückkam und die Haare auf einmal offen trug. Aber ich hatte nicht damit gerechnet. Niemals.

Zwar ihre Hand gehalten, ganz natürlich, und angenehm, aber in keinster Weise zu irgendetwas verpflichtend. Locker-leicht, beschwingt. Und später, mir aus der Jacke helfend, sagt sie, „See, I'm undressing you!“ und zwinkert, und wir lachen, und es ist halb Spaß, halb Ernst, aber letzteres wiegt so wenig, dass ich ihn mir aus dem Kopf schütteln kann. Wir stoßen klingend Gläser zusammen, und wann immer unsere Finger sich streifen, ist es gut. Ist vertraut und warm und – so einfach.

Dann stolpern wir durch die Küche; Tanzschritte will sie mir zeigen, und ich bocke und lache und auf einmal liegt ihr Mund auf meinem, und alles in mir wirft sich ihr entgegen. 

taint my mind but not my soul

„Wer hat dir beigebracht so zu küssen?“, fragt sie, und ich denke,
Jetzt übertreib mal nicht. Ich streiche ihr durchs Haar und lächle.

„Nein, ernsthaft.“ Sie greift mein Handgelenk, unterbricht meine Bewegung und schaut mich an. Klarer Blick aus nachtmüden Augen. „Wer?“

Ich will sagen, dass man Küssen nicht lernen kann; dass niemand einem beibringt, wie man zu küssen hat; dass man es eben so tut, wie man es tut, und dass es trotzdem nie wieder so sein wird, wie es war als man zum ersten Mal verstand, was Küssen ist. Was es sein kann. Ich will sagen, dass niemand, niemand das Recht auf meine Küsse gepachtet hat, und dass vielleicht genau darin das Geheimnis liegt.

„Ich war mal verliebt“, sage ich stattdessen. „Einmal. Sie hat es mir beigebracht, schätze ich." Ihr Blick verändert sich, ganz leicht, bloß um eine Nuance.

„Bist du drüber hinweg?“

Unsere Gesichter sind höchstens eine Handbreit voneinander entfernt. Ich zögere einen Moment, und überrasche mich selbst damit. Die Antwort auf diese Frage ist noch immer nicht griffbereit, ist noch immer behutsames Hineinhorchen – wie das Lauschen auf ein Echo, mit der Hoffnung, es möge verhallt sein.

„Ja“, sage ich dann, „Ich denke schon.“ Was bedeutet schon Wahrheit?

„Ich war auch mal verliebt. Ist länger her.“

„Man ist nie ganz drüber hinweg.“, sage ich, und sie nickt, und versteht, und wir begraben die Nacht unter Träumen.

and fly around in circles

„Das ist genau die Frage, bei der ich gerade angekommen bin.“ Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, durch den frisch geschnittenen Schopf; hinten beinahe stoppelkurz, aber vorn in schelmische Strähnen fallend.

Wenn alles, was du denkst, bereits gedacht worden ist, und alles längst irgendwo geschrieben steht – Wieso dann überhaupt denken? Wozu? Und wofür dann leben? Irgendwie hatte das Gespräch uns an diesem Punkt angespült. Ich hatte die Worte ausgesprochen, und jetzt blitzten ihre Augen mir zu, mit einer Mischung aus Befriedigung und ruhiger Neugier.

Wozu denken? Wozu leben?

„Für sich selbst.“ Ich erwiderte ihren Blick mit einer Klarheit, die ich gar nicht von mir kannte, und wandte mich dann wieder meinem Teller zu. Ein Streifen Möhre wanderte, aufgespießt von Gabelzinken, in meinen Mund, und ich kaute, und schaute sie an, und wusste, es würde keine Erwiderung geben; ich hatte auch keine erwartet.

just a run and a jump

Die Zeit scheint vor mir davonzulaufen. Mitunter flüstert mir das Tick-Tack des Sekundenzeigers zu: Es geht los. Es geht los. Du bist jung, aber wie lange noch? Es hat längst begonnen.

Verstehst du, ich liege im Bett, aber es hat längst begonnen, das Leben. Ich bin noch immer hier, und weiß nichts mit mir anzufangen; und die Möglichkeit schleicht sich ein, dass ich das vielleicht auch nie wissen werde. Wenn man noch zur Schule geht – das ist wie eine Schonfrist. Du weißt, das Leben hat noch nicht begonnen, nicht wirklich, und wenn es losgeht, wird es groß. Du wirst groß sein, und große Dinge tun, und dass diese großen Dinge in deiner Vorstellung nur vage und als formlose, wabernde Masse existieren, kümmert dich nicht. Hat dich nicht zu kümmern, denn du hast ja: Zeit.

Und diese Zeit, die du noch hast, umgibt dich wie eine schützende Hülle; sie tropft dir von den Ohren und quietscht in deinen Schuhen. Aber sie nimmt ab. Sie nimmt immer mehr ab, diese Schicht, und anfangs spürst du es nicht, aber irgendwann sitzt du da, und schaust an dir herunter, und die Schonfrist ist abgelaufen, der Schutzlack abgeblättert, verlaufen, zerronnen. Du bist im Morgen angekommen, und es ist längst zu deinem Jetzt geworden.

Nur, dass du nicht vergessen kannst, dass dieses Jetzt mal ein Morgen war; ein hoffnungsvoll aufgeladenes Morgen, ein hüpfendes, sprühendes, Glück verheißendes Später. Ein leuchtendes Und dann.

Und dann ist jetzt. Und dann ist hier, das hier bin ich, wo bist du?

taking chances with rabies

Manchmal wacht man auf und ist schön. Und manchmal vergisst man diese Schönheit schon nach Sekunden, wie den Traum, in dem man eben noch gefangen war; manchmal verfliegt diese Schönheit im Laufe des Tages. Und manchmal bleibt sie eine Weile haften.

Niemand schreibt über das Glück, weil das Glück nicht analysiert werden will. Es wehrt sich dagegen, sich zerpflücken zu lassen; auseinander gerupft und in allen Einzelheiten ausgebreitet zu werden. Ich bin dann nur noch halb so schön, sagt es trotzig, und darum lässt man es in Ruhe; man lässt es in sich ruhen, dieses Gefühl, und richtet den Blick nie direkt darauf, nur scheu und zärtlich, ab und zu.

Und man weiß, man müsste versuchen, für dunkle Tage vorzusorgen – sich zu wappnen, denn die dunklen Tage kommen wieder. Aber das Glück scheint so friedlich, und so ohne die geringste Anwandlung zu gehen. Vielleicht bleibt es länger, dieses Mal, denkt man sich.

Vielleicht bleibt es – den Geschmack der Worte auf den Lippen:

Für immer?

to paint a picture of a frown

Ich verliere an Halt. Eine Rauchschlaufe ringelt sich elegant unter dem Rollladen hindurch, aus dem Fenster. Mein Fuß trifft seinen Schatten an der Wand. Ich verliere verliere verliere an Halt.

Setze ich auf die falschen Pferde, oder
1.) sind es nicht vielmehr die Pferde, die auf mich setzen?
2.) sind sie vielleicht am Ende doch die richtigen?

Und doch stehe ich noch. Ich stehe, ich atme und spreche und lache, und nur in ruhigen Momenten, wenn mein Blick abschweift und sich an einem unbestimmten Punkt verfängt, nur dann denke ich diese Gedanken, diese trübsinnigen, mich selbst bemitleidenden Trauerfäden. Dann bin ich kurz für mich, und die ohnmächtige, unfassbare Wut versucht, Farbe anzunehmen; und sie scheitert, immer wieder. Und ich tauche wieder auf, und atme und lache und spreche, und nichts scheint mir erstrebsamer, als einfach vergessen zu können. Keine farblose Wut mehr, keine Worte, die mir in den Gedärmen wühlen, und keine stumme Fassungslosigkeit.

run away from you, into your dream

Wie sie mich ansah, und in diesem Moment brachen sämtliche Barrikaden, stürzte das Bild, das ich von ihr hatte, lautlos in sich zusammen. Ihr Blick erinnerte mich an den eines Tieres; hastig, nervös witternd, auf dem Sprung. 

Ich hatte sie einige Stunden zuvor noch in der Stadt gesehen; sie war geradewegs an mir vorbeigelaufen während ich, an eine Wand gelehnt, gegen die Sonne blinzelte. Sie wirkte kalt, und abweisend. Auf arrogante Weise zielstrebig. Sie hatte mich nicht gesehen, oder selbiges vorgegeben. Aber später, im Kurs, hatte sie mir wieder so zugelächelt, dass mein Herz einen Satz machte. Auf dem Weg zur Kneipe hatte ich immer wieder einen Blick zurück geworfen, um sicherzugehen, dass sie tatsächlich noch da war. Sie lief allein; die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Jacke zusammenhaltend.

Als sie kurz vor der Kneipe in eine Seitenstraße abbog, hatte ich mir gedacht, dass sie sich wohl umentschieden, dass sie nun doch keine Lust mehr hatte. Ich verstand nicht. Das Fahrrad war in Windeseile angekettet, dann spurtete ich los. Jemand tönte hinter mir her, was denn los sei, aber es war keine Zeit, etwas zu entgegnen. Sie war noch nicht weit gekommen, als ich nach ihr rief.

Es war einer dieser Momente, in denen man keine Zeit hat, sich einen Plan zurechtzulegen. Ich hatte keine Ahnung, was ich wollte; mich trieb die Ungewissheit, und der Trotz. Warum lächelte sie mir so zu, um dann in der nächsten Seitengasse zu verschwinden?

Und jetzt, anstelle der Arroganz und der Kälte, die ich von ihr erwartete, warf sie mir den Blick eines Tieres zu, das geschlagen wurde, und nun selbst vor liebkosender Hand zurückschreckt. „Hey“, sagte ich noch einmal. Ich war stehen geblieben als ich das erste Mal nach ihr gerufen hatte, als sei das nicht möglich: Laufen und Rufen zugleich. „Ich dachte, du kommst heute mit?“ Das Fragezeichen klang deutlich an, aber nicht fordernd, nicht beschuldigend. Ein Lächeln zuckte über ihr Gesicht. „Ja, ich“, setzte sie an, „Ich kann nicht, da sind zu viele... Zu viele Menschen. Das ist … Das ist zu viel für mich, …“ Ich starrte sie an. Damit hatte ich nicht gerechnet. 

Mühsam schaltete ich. Was sagst du jetzt, zermarterte sich mein Gehirn, was, wie! „Wie heißt du?“ Die Frage war so unpassend wie naheliegend. Seit zwei Wochen rätselte ich schon, wie sie wohl heißen mochte. „A.“, sagte sie, und mich schüttelte innerlich ein hysterischer Lachkrampf. Der Name scheint sich wie ein roter Faden durch mein Leben zu ziehen. „Ich bin J.“, sagte ich, und ging ihr langsam entgegen. Vielleicht wusste sie das schon, aber es schien mir wichtig, ihr im Gegenzug meinen Namen zu sagen. Scheu machte sie ebenfalls ein paar Schritte auf mich zu.

„Ich weiß, dass es lächerlich klingt“, sagte sie, und ich dachte, Absolut nicht, aber ausgerechnet von ihr? Tränen standen in ihren Augen, und ich spürte den Impuls, ihren Arm zu berühren, ihr haltgebend über den Rücken zu streichen. Würde es sie verschrecken? Wir setzten uns auf die Treppenstufen eines Hauseingangs, und sie begann, zu erzählen, als sei ich ihr vertraut; als seien wir einander vor Jahren begegnet und längst die besten Freundinnen.

Da ist was zwischen euch, sagte M. später. Die Frage ist nur, was. Mach dir nicht zu viel Hoffnung.

and we'll collide another day

Bin ich also wieder dem vertrauten Sog verfallen, dem Strudel der Gefühle; dem Möglichen in die Arme gesunken. Ohne den geringsten Widerstand hat es mich hinweg gerissen; oh, nein, ich habe mich nicht gewehrt, ich habe genussvoll die Augen geschlossen. Mit aller Macht habe ich mich hingegeben, mich verloren gegeben, und alles, was es brauchte, war ein flüchtiger Seitenblick.

Dieses Mal ist es anders, beteuerte ich M. gegenüber, die große Augen machte. Es ist anders; ich konnte das nicht erklären, in meiner Magengrube brannte die Gewissheit. Sie war so und so, und nein, ich kannte ihren Namen nicht, aber sie hatte so-und-so gelächelt, und ich hatte gar nicht damit gerechnet, aber auf einmal hatte sie da gesessen, und mir schoss das Blut in die Fingerspitzen, aber ich blieb ganz ruhig und gelassen, äußerlich, und fing nur ihren Seitenblick auf.

Und dieser Blick war es, die Art, wie sie mich ansah, die mich später gedankenversunken am Küchentisch sitzen ließ, die mich diese Szene wieder und wieder durchspielen und zu dem Schluss kommen ließ, der mich ein paar Tage lang auf Wolken trug. Mir fiel auf, dass mein Bett groß genug ist für Zwei. Alles fühlte sich anders an; als habe jemand eine Decke von Wohlgefallen über mich gebreitet, die mich auf Schritt und Tritt wärmend umfing. Es fühlte sich anders an, nachts im Treppenhaus nach dem Lichtschalter zu tasten. Es fühlte sich anders an, in den Spiegel zu schauen. Es fühlte sich anders an, ein einfaches Käsebrot zu essen; mit M. zu sprechen, mit sonst jemandem, und überhaupt.

Und dann sieht man die Person, die in den ureigenen Tagträumen schon verliebte Dinge gesagt und Kaffee ans Bett bekommen hat, wieder. Einmal, da reagiert sie kaum, jedenfalls nicht sichtbar, und man denkt sich, dass es nicht sein kann, und man hofft weiterhin. Und dann erscheint sie nicht, wo man sie erhofft hatte, und die Hoffnung kreischt, und der gesunde Menschenverstand hält ihr den Mund zu. Und dann läuft sie ganz selbstverständlich irgendwo durch die Stadt, und du weißt, sie hat dich gesehen. Aber du weißt auch: Da war keine Wärme. Da war kein explosionsartiges Etwas, das uns eine gemeinsame Zukunft verheißen würde; kein Blitzen in ihren Augen, kein Feuerwerk in meinem Bauch. Kein Garnichts.

Langsam, ganz langsam beginnt man dann, sich wieder mit dem trüben Gedanken anzufreunden, das Leben weiterhin so zu bestreiten, wie man es zuvor getan hat. Ohne die schützende Wärme, ohne den erfüllenden Glücksgedanken, jemandem besonders zu sein. Alles wehrt sich dagegen, die Illusion beiseite zu schieben; den Moment zu streichen, mit dem alles begann. Aber da war doch... Und es kribbelt leise, es kribbelt verhalten; das Potential ist da, vielleicht gebe ich dieses Mal einfach nicht auf. Vielleicht war alles falsch interpretiert, und ich kann sie trotzdem dazu bringen, mich zu sehen.

Aber wenn dieser Moment nicht das war, wofür ich ihn gehalten habe; macht es dann überhaupt Sinn, sich daran festzuklammern?

Und leise flüstert es, noch immer: Vielleicht ja doch. 

draw back your bow

Diese Menschen, an die ich mich verlieren könnte, sind die, die sich dem Leben zu entziehen suchen.

Sie wollen der Welt nicht viel bedeuten, niemandem besonders sein. Sie achten auf sich mehr aus Höflichkeit, pflegen und kleiden sich mit ausgesuchtem Gleichmut, niemals mit dem Wunsch, aufzufallen. Mit zärtlicher Grausamkeit gestalten sie ihren Alltag, und ihr Staunen darüber, dass ein Leben trotz fehlender Liebe existieren kann, immer weiter existiert, wächst mit jedem Tag ein bisschen.

Das ist auch der Grund für die tief melancholische Traurigkeit, die ihnen aus den Augen springt, wenn sie nur einen Moment unachtsam waren. Und mit dem Stolz derer, die nichts anderes kennen - sich selbst umkreisend, immerfort - haben sie die Hoffnung auf einen anderen Weg längst aufgegeben.

Sie wirkt flüchtig, wie aus der Luft gegriffen. Scheu, niemals aufdringlich, beinahe farblos; und hätte mich ihr Blick nicht gestreift, so wäre sie mir gar nicht aufgefallen. Aber auf einmal sticht sie heraus aus der Menge, obwohl so sorgfältig in Unscheinbarkeit gehüllt. 

Ich glaube, ein edles Wesen zu erkennen, und schaue, und betrachte, und sehne mich.

ghost town, haunted love

Vielleicht muss man einfach diese Höhenflüge des Übermuts zulassen, sich der maßlosen Selbstüberschätzung ergeben – Wenn dabei ein Funken Glück herausspringt, ist es vielleicht die verworfene Moral wert.

M. hatte das Eis aus der Tiefkühltruhe gezerrt; wir hatten die Limetten zerteilt, verteilt in die Gläser, zuunterst, und mit dem Stößel zerdrückt; einen Löffel Rohrzucker dazu, und umgerührt. Immer wieder abgeschmeckt, nachgefüllt; bis es erreicht war: Das Prickeln. Der charakteristische Geschmack; sauer und süß zugleich, die Zunge kann sich nicht entscheiden, sie will es auch gar nicht, und sie schmeckt und schmeckt, und kann nicht genug bekommen.

Irgendwann saß R. auf der Fensterbank, rauchend und gestikulierend, und wir lauschten gespannt, und dann lachten wir und es war spät geworden. Flüchtig die Augen verziert, die Wimpern in Tusche getunkt - „Es ist schon so lange her!“ - und in irgendein Top geschlüpft, das sich gut anfühlte. Soll ich die Schuhe anziehen?, die schwarzen? Dann aber eine andere Hose, sagt M., und ich frage, Soll ich?, und sie sagt, Man muss zeigen, was man hat!

Lachend also in die Hose schlüpfen und sich leise fragen, was bei gegenteiliger Entscheidung anderes passieren würde; andere Hose, andere Schuhe, anderes Gefühl – Aber nicht im Paralleluniversum versinken, weil dazu keine Zeit ist. Das Geld vergesse ich auf dem Kopfkissen, aber das merke ich erst, als ich später an der Bar stehe; das Handy stecke ich ein, den Schlüssel, den Ausweis. Jemand greift die Sektflasche, und die Bahn kommt zu spät, aber das macht nichts, und wir albern und fahren der Party entgegen.

drowning in light

Ich steige in die Bahn, werfe einen Blick nach rechts, entscheide mich für das linke Abteil, platziere die Tasche mit den Büchern auf dem Klappsitz in der Ecke, dann den Rucksack; lasse mich auf den Sitz daneben fallen.

Der Zug ruckt, fährt an, mein Blick schnippt vor und zurück, ich stiere leer aus dem Fenster; ab und zu schaut der Typ hoch, der mir gegenüber sitzt, schaut hoch von einem dieser flachen Computerdinger, von denen ich nicht weiß, wie sie heißen; dann tippt er wieder, tippt mit der immer selben Bewegung darauf, tack tack tack tack tack, was er da wohl macht? Er verzieht keine Miene; die Kappe tief ins Gesicht gezogen. Er sieht aus wie einer, dem alles zufliegt; ich wüsste gern, woran ich das festgemacht habe; vielleicht an der Art, wie er ab und zu flüchtig hoch guckt, uninteressiert, leicht blasiert, eben wie jemand, dem alles zufliegt. Ein Mädchen und ein Junge steigen ein, sie ist blond, er redet Unsinn. Beinahe weißblond ist sie, aber weder geschminkt noch geziert; sie lacht, sie hat ein herzförmiges Gesicht, ich schaue ein paar Mal hin und wieder weg, wende mich wieder dem vorbeiziehenden Draußen zu, das mich noch nie weniger – Ein älterer Herr steigt ein, oder sitzt er da schon länger?, er fingert an einem Pflaster herum, das ihm lose am rechten, kleinen Finger klebt. Ich halte den Ansatz eines Lächelns für ihn bereit, nur für den Fall, aber sein Blick streift mich nur kurz. Als ich wieder zu ihm hinsehe, rutscht ihm gerade das Pflaster vom Finger; ich bin kurz davor, ihn darauf hinzuweisen, warte dann aber mit leiser Faszination darauf, dass er es selbst bemerkt. Nicht zu spüren, wie etwas von einem abfällt, ist absurd; selbst, wenn es nur so etwas kleines ist; spürt er nicht den Luftzug am Finger? Ich beäuge seine anderen Finger, die mir auch nicht sonderlich gesund erscheinen, dann schaue ich das Mädchen an, eine Weile; etwas Ruhiges geht von ihr aus, schlichte Natürlichkeit, sie erinnert mich an irgendjemanden, aber mir fällt partout nicht ein, an wen. Mein Blick wandert zurück; der Mann hat das Pflaster wohl aufgehoben und friemelt nun daran herum; für einen Augenblick bereue ich, ihn nicht im Auge behalten zu haben; den Moment, in dem er das Pflaster aufhebt, sein Gesicht dabei hätte ich gern gesehen. Ich schweife ab, punktierte Gedanken, verwischte Momentaufnahmen; das weißblonde Mädchen schaut den Typen gegenüber von mir eine Spur zu lange an, ob er das gemerkt hat, weiß ich nicht, er schaut erst später zurück, schaut sie an und scheint absolut nichts zu denken. Er weiß nicht, dass ich ihn darum beneide, von ihr so angeschaut worden zu sein; das hat mir einen leisen Stich versetzt, und etwas flüsterte dann: Sei nicht albern. Hör doch endlich auf, ständig darauf zu hoffen, dass sich dir jemand in die Arme wirft; hör auf. Hör auch auf damit, die Jägerin zu spielen, denn das bist du nicht, das warst du nie. Werde ich es je sein?

Der Mann hat es aufgegeben, das alte Pflaster auseinanderzuklamüsern, und ein neues aus den Tiefen seiner Jackentasche gefischt. Bedächtig zieht er die weißen Streifen davon ab und wickelt es sich um den kleinen Finger.

Bahntür, Treppenstufen. Schritte, Schritte über Erde, über Bürgersteigkacheln. Blüten wie Himbeerschaum an den Astspitzen. Sonnenlicht, warm vertraut auf Haut und Haar und jedes Mal wieder ein Lächeln wert. Wenn man sucht nach Dingen, die es wert sind, kann man das Lächeln gleich bleiben lassen; ich denke: Fahrrad fahren, und auf einmal breit grinsen müssen beim Gedanken an irgendwas, und dann fährt dir jemand entgegen und sieht dich und dein Grinsen und denkt: Was für ein Trottel. Was grinst die denn so. Ich jedenfalls denke das manchmal, wenn jemand grinst; manchmal freue ich mich aber auch unwissend mit, dann verzieht es meinen Mund zu einem Spiegelgrinsen und im Bauch toben die sprichwörtlichen Schmetterlinge durcheinander. Dann wüsste ich gern, worüber die Person sich so freute, dass es mich angesteckt hat; aber es macht auch nichts, das nie zu erfahren, denn das Grinsen war ja da, und die Freude, und irgendwie ist das manchmal alles, was von einem Tag übrig bleibt.

quarter past going too well

Ich drehe den Kopf. Sonne läuft mir aus den Augenwinkeln. Die Beine ziehe ich an meinen Körper, und lasse mich bescheinen. Lasse mich wärmen, und taue langsam auf.

Was man wie etwas Wertvolles betrachtet, das wird zu etwas Wertvollem, denke ich und atme die klare Luft. Denke ich und fühle ich; denn auf einmal ist der Ort, an dem ich meine Ferien verbringe, nicht mehr der, an dem ich mich nie wirklich heimisch fühlte, und auch nicht mehr behangen mit graumelierten Selbstmitleidsphasen. Selbstfindung, Selbsthass; der Fokus bewegt sich von mir weg, ich sehe jetzt, wolkenfrei. Der Himmel malt die Dächer blau; ein verwaschener Schriftzug auf der Straße lässt mich milde sein, besinnend lächeln.

Fühlt sich auf einmal richtig an, hier entlang zu laufen; ich stelle mir vor, es sei ein anderer Ort in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, und ich fühle mich mutig und verwegen. Es könnte jede Stadt sein, und jedes Land, und doch bin ich hier, und ich laufe weiter und betrachte flüchtig meine Silhouette im Schaufenster.

Gar nicht so schlecht, finde ich, hast du es getroffen. Laufe weiter, und lasse meine Finger über die Knöpfe des Zigarettenautomaten klicken. Laufe weiter, und kicke einen Kiesel vor mir her, bis er kicksend und kreiselnd im Gulli verschwindet.

Ich laufe, und die Schwere fällt Stück für Stück von mir ab; diese melancholische Düsterkeit, die mich überkommt, immer wieder. Wie eine Angewohnheit, die man nicht abschütteln kann; immer wieder falle ich in die gleiche Perspektive zurück, in diese, die mir nicht gut tut, und obwohl ich das weiß, stehe ich nur dabei, stehe sozusagen am Rand und lasse es geschehen.

with one dream on repeat

Liebe A.,

dies ist der letzte Brief, den ich dir schreiben werde. Und ich schreibe schon diesen gar nicht mehr an dich, sondern vielmehr für mich; ganz einfach, um damit abzuschließen. Um wirklich, wirklich und endlich damit abzuschließen.

Dabei gibt es gar nicht viel zu sagen. Was zählt ist, wie es ausging. Wie ein paar kurze, rasch gewechselte Worte gereicht haben, unsere Vergangenheit, die Beziehung, die wir zueinander hatten, in ein völlig anderes Licht zu tauchen. In das Licht, das ich zu vermeiden suchte; in dieses grelle, unfreundliche. Keine Beschönigung, kein dämmerndes Umschmeicheln. Heller noch als Tageslicht; mehr diesem in den Umkleidekabinen ähnlich, und man schaut in den Spiegel und möchte sich die Haare raufen, wenn sie sich dann nicht nur noch weiter vom Ideal entfernen würden.

Deine Worte also, und dieses Licht. Und auf einmal sah ich klar. Ich sah meine Wunden, und wie sie erneut aufrissen, ein letztes Mal. Ich sah, wie du gezielt, ganz gezielt auf diese meine Wunden ansetztest, um ohne Rücksicht zuzustoßen.

Ich sah dir zu, A., und dann wandte ich mich ab.

a little honey for my soul

Stummer Tumult in meinem Kopf. Chaos, das Fäden zieht.

Überhastet ins Bad gestürmt; grob das Gesicht mit Wasser benetzt, den Mund aufgeschäumt, durchs Haar gefahren. Aus der Haut gefahren, aus dem Kleid, der Unterwäsche; Rauch und dumpfe Kellermusik wabern über dem Kleiderhaufen. Ins Bett gekrochen und nach draußen gelauscht; Schritte im Treppenhaus. Eine Tür schleift über Holzboden und wird ins Schloss gedrückt. Ich lausche, und denke, dass sie nicht wiederkommen wird.

Ich denke, sie wird in ihrem eigenen Bett schlafen wollen, und das ist in Ordnung so, natürlich ist es das.

Als sie die Tür öffnet, hebe ich schläfrig den Kopf. Sie sagt irgendwas, und kriecht zu mir unter die Decke. Sie zittert; es ist kalt gewesen, draußen, im Flur, und ich spüre den Impuls, sie in den Arm zu nehmen, sie zu beruhigen, zu wärmen. Ich schmiege mich an sie, um ihr von meiner Wärme abzugeben; sie zieht die Luft durch die Zähne hindurch beim Atmen, und dabei entsteht dieses zischelnde, zittrige Geräusch.

Ich ziehe sie an mich. Ich atme ruhig, betont ruhig, und warte darauf, dass mein Rhythmus sich auf sie überträgt, dass sie ihn wahrnimmt und sich daran festhalten kann. Ich halte ihre Hand. Ihre Finger sind ganz dünn, und klein, und kalt; ich breche ihre Faust auf und flechte unsere Finger ineinander.

Ich bin da, denke ich, und denke doch einfach nur nichts. Als ich mit meinem Mund nach ihrem dränge, spüre ich sie zögern. Ihre Lippen geben meinen nach. Sie ist weich und warm.

Eng umschlungen, zu einem Wesen verschmolzen, schlafen wir ein.

until my heart freezes sober

Wir sitzen auf der Bank; ab und zu werfe ich dir einen Blick zu, behutsam, unverstellt. Die Bartstoppeln auf deinen Wangen; ich denke, wie es sich wohl anfühlen würde - Aber ich lasse den Gedanken nicht zu. Das geht jetzt nicht; es wäre Wahnsinn, nach allem was war.

Wir sind an der Brüstung entlang geschlendert, haben herunter gesehen auf die Stadt, und den Fluss, und die Touristen, die eifrig knipsend an uns vorbeihuschten. Ich habe die Bank ausgesucht; es ist die einzige, neben der kein Mülleimer steht. Ich habe mich gesetzt, während du noch die Ruine nach einem Zeichen absuchtest, vergeblich Zeit schindend, den Augenblick herauszögernd. Jetzt sind wir einander noch gut gestellt, jetzt ist es zwar verdammt seltsam, und unbehaglich, und unsicher, aber -

Du setzt dich; ich nehme ganz deutlich den Abstand wahr, den du zu mir, zu meinem Körper einhältst. Der Abstand ist zu groß für das, was ich empfinde. Er ist zu groß für das, was ich von dir hören will; und ich ahne schon, ahne, dass bei aller Blödelei und allem Gescherze, das eben noch die Stimmung aufgelockert hat, nun nichts Gutes folgen wird.
  

on a waltz of hypocrisy

Als ich endlich, unendlich umständlich, den BH zurecht gerückt habe, geht alles ganz schnell.

Ich schlüpfe in die restlichen Kleidungsstücke, schnüre die Schuhe, werfe einen Blick aus dem Fenster. Die Scheibe ist beschlagen, also wische ich mir ein Guckloch; der Poet liegt auf dem Bett und schaut mir zu. Vielleicht schaut er auch ins Leere; jedenfalls sagt er nichts, liegt da bloß, und als ich den letzten Mantelknopf schließe, höre ich mich „Also dann“ sagen, und „Mach's gut“.

Er reagiert kaum, schaut auf, wie ein Hund, den man geschlagen hat. Er nickt und lächelt schief, sein Blick verliert sich in einem Punkt über meiner linken Schulter. Ich denke, so kann ich doch jetzt nicht gehen, und dann stehe ich schon draußen.

Regentropfen durchziehen die Luft.

Ich atme tief durch und beginne den Abstieg.

breathing comes in pairs, except for twice

Dies ist eine Danksagung an die Stimmen aus dem Off.

  unerwartet
waerme spueren,
    waerme unbekannter art

erstmals erfuellt die
    zuneigung fremder
  stimmen mich mit
   zuversicht.

 ein zuruf aus
    gesichtsloser menge
   gibt mir kraft.
                 mut.
              trost, gar!

fuehlt sich an wie:
  jemand ist bei mir
und: hier falle ich weich.

in love with a dying man

Ich glaube langsam, nur Frauen können so küssen.
Oder vielleicht kann ich nur bei Frauen so empfinden.

Es war ein Rausch, ein Strudel aus Lichtern. Ringsum warfen sich die Menschen einander in die Arme, und irgendwo brannten knatternde, pfeifende Raketen Löcher in die nassklamme Luft. Ich hatte ihr spontan einen Kuss mitten auf den Mund gedrückt, und sie hatte getaumelt und gelächelt, und dann hatten wir uns allesamt umarmt.

Ich hatte N. gesehen, in einem flüchtigen Moment, einen oder zwei Meter entfernt von mir; beinahe hätte ich die Hand nach ihr ausgestreckt. Habe ich gerufen? Dann war sie weg, von der Menge verschluckt, von der Menge und dem allgemeinen Gekreische und Gerufe. Sie war weg, und es war Zwölf, das neue Jahr brach an, und ich würde es nicht ohne mich beginnen lassen.

Also das Leben beim Schopf gepackt, das Mädchen an der Hand, es auf den Mund geküsst. Und später noch mal, und länger, und sich verloren im Kuss. Verloren gegangen am Kuss selbst, um des Kusses Willen.

Das Mädchen war ohnehin längst zu einer anderen geworden; sie war nicht mehr die, die vorhin in der Küche gelacht und geredet und Punsch getrunken hatte. Sie war die Hübsche aus meinem Kurs, die mit dem schönen Mund. Sie war ein bisschen N. und ein bisschen Katze, ein bisschen von jeder, und ich wusste, dass auch ich für sie zu einer anderen wurde, für den Moment.

Für diese Nacht.