in a tent for twelve with fingers and elbows

Hunger und Appetit sind zurück, morgens, plötzlich bohrend, beinah schmerzhaft. Im Halbschlaf registriere ich, wie sie sich anzieht, im Nebenzimmer schminkt, wie sie ihre Haare glättet. "Nushki", sagt sie, als sie bemerkt, dass ich halbwach bin, und hält mir einen Pullover hin. Es ist der graue, der immer so riecht, als sei er nicht richtig getrocknet; wir wissen nicht, warum. Sie hält ihn mir hin und ich beschnuppere ihn, meine Nase halbverstopft, es ist kühl geworden in den letzten Tagen. Ich schnuppere eigentlich nur der Form halber, eigentlich weiß ich, dass der Geruch verschwunden ist seit der letzten Wäsche; 60 Grad haben ihn vertrieben. Irgendwie formuliere ich das, halb versunken aber eigentlich wach, und sie lacht und freut sich und sagt, dass sie mich liebt, und ich sage die Formel zurück und kuschle mich selig in die Decken und Kissen. Richtig bequem wird es nicht mehr, deshalb raffe ich mich auf, nach einer Weile. Wir frühstücken gemeinsam, ein paar Minuten nur, dann muss sie los.

Dann der erste kühle Tag, und ich erinnere mich an Beschwingtheit; ist es vielleicht das, was ich an meinem ersten Herbst fern von Zuhause fühlte? Auf einem anderen Kontinent; spürte ich da zum ersten Mal all die Möglichkeiten, die möglichen Zukünfte? Die Frische der Luft trägt eine Kraft in sich, anders als die des Sommers, eine herzhafte Frische, ein Mich kann nichts aufhalten. Ein Ich packe es an, und vielleicht rührt meine Melancholie daher, dass ich die Stimmung zwar auffange, zwar spüre, aber gerade nicht umsetze, nicht umsetzen kann.

Später ruft sie an, und ich versuche, alles in die paar Minuten zu packen; alles, was passiert ist und mich bewegt hat in den letzten zwei Tagen, und rede und rede. Sie klingt müde, aber sie freut sich, und obwohl sie im Taxi sitzt, redet sie mit der vertrauten Stimme, die uns beiden gehört. Woman, woman, sage ich, singe ich, und wir sehnen uns beide nach Küssen und Umarmung und nach des anderen Haut. Nach dem beruhigende, euphorisienden Effekt der gegenseitigen Berührung; wie eine Vergewisserung, dass die andere Person existiert, dass sie nah ist, physisch wie mental.

  through the smoke rings of my mind

Ohne genau zu wissen, welche Assoziationskette mich hierhin führte, schiebt sich eine Erinnerung nach oben; wie ich mit M. im Gras lag, nach einer durchfeierten Nacht, wie wir schwitzend und durstig und immer noch von der Musik durchdrungen schliefen und aufwachten und uns über das Tempelhofer Feld langsam den Weg nach Hause bahnten. Ein bisschen taumelnd, ungeschützt in der Hitze, aber durch den Schlaf erstarkt, stark genug, und mit dem einzigen Ziel: nach Hause. Den Tag in Angriff nehmen. Die Müdigkeit niederkämpfen, für den Augenblick; erst mal die Bahnstation finden, erst mal was trinken, erst mal sehen, wie viel Geld vom Abend noch übrig ist. 
 
Wie eine Verkörperung von Sorglosigkeit, von Kindlichkeit erscheint mir das jetzt; wie frei sich das anfühlte, und wie euphorisch wir beim Tanzen waren; wie viele Blicke ich genoss und wie angenehm sich das Denken langsam ausschaltete, das Überdenken, das Über-Ich; das Urteilen und die Vernunft. Wie schön es ist, sich an all das zu erinnern, und wie seltsam, gleichzeitig von der Traurigkeit zu wissen, die mich trotz allem nie verließ. Euphorisch war ich, ja, und auch begeistert, und im Rausch; von Glücksmomenten durchtränkt und genießend. Und trotzdem weiß ich auch, dass da noch immer diese tiefe, tiefsitzende Traurigkeit war, die mich seit der Trennung begleitete; eine Art dunkler Unterton, der immer mitschwang. Er hinderte mich nicht mehr daran, Glück zu empfinden; das hatte ich mir erarbeitet. Aber er schuf eine permanente, unterliegende Unruhe und Dunkelheit; eine, in die man jederzeit hineinfallen konnte, wenn man sich nicht zusammenriss. Und vielleicht deshalb sind diese Glücksmomente nicht völlig rein, nicht einzig Glück, sondern durchmischt mit eben diesem dunklen Ton, einer leisen Melancholie, einer in Schach gehaltenen Verzweiflung. 

Vielleicht tatsächlich wie ein kleines Tier, das man sich im Brustkasten hält; ein schlafendes. Und man liebt es auch, es ist ja Teil von einem selbst; ich würde mir die Traurigkeit nicht absprechen wollen und ich will den Satz "Ich war nicht wirklich glücklich" ausschreiben, ohne damit eine Verminderung des Erlebnisses bewirken zu wollen; ohne damit sagen zu wollen, dass es deshalb weniger wert gewesen ist oder weniger schön oder weniger erfüllend. Es war ein erfüllendes Erlebnis genau wegen der Komplexität der Gefühle, ihrer verschiedenen Färbungen; dadurch, dass nichts stimmig war und alles stimmte.

  long before the days of no surrender

So etwas wie Zärtlichkeit ist zu beobachten in ihrem Umgang mit allem, was sie wachsen sieht. Ein Staunen in Schüben, immer dann, wenn sich das Gepflanzte in den Vordergrund, in ihr Blickfeld schiebt.

Morgens rufen die Pflanzen mich wach; sie sind durstig, manchmal brennt die Sonne bereits mittags. Der Salat ist dankbar, lerne ich, eine sympathische Pflanze, genau wie die Erdbeere; der Basilikum eher griesgrämig, mit Hang zum Selbstmitleid. Eine Eiche haben wir gepflanzt, eher aus Versehen. Ich mag, wie sie besonders diesem winzigen Baum behutsam zugetan ist; vielleicht, weil er schneller wuchs als die anderen? Zunächst zart sprießend, und jetzt rapide, ein Stockwerk nach dem anderen.

Abends sind die Farben malerisch; ich laufe und die Felder, Bäume, blühenden Sträucher, alles war malerisch, und ich blieb mehrfach stehen und knipste, blieb stehen und versuchte, das aufzufangen, festzuhalten. Dabei war der Wert selbst ja ganz ohne mich da, und ganz unbeeindruckt von meinem Geknipse. Einzig ich lenkte mich selbst ab von diesem Moment - In dem Versuch, bleibende Erinnerungen zu schaffen, Abbilder des Moments, war mir der Moment ja selbst entglitten. Als ob man sich durchs Halten der Kamera selbst eine Trennung aufdränge: Alles ist Motiv, nichts mehr bloß Umgebung; Fokus, scharf stellen, weichzeichnen. Stimmt das Licht? 

Fühlt man sich als Künstler, in diesen Momenten, oder als beauftragt zur Dokumentation? Assoziiert man mit Vergänglichkeit immer das Verschwinden von Wert? Und liegt dahinter das Streben nach Großem?; etwas Bleibendes will man schaffen, etwas von Bedeutung. Etwas, das erinnert wird, egal von wem, es soll nur nicht im Nichts verschwinden, und außerdem beweist es natürlich: Man war da. Man war selbst ganz höchstpersönlich an diesem Ort und schuf ebendiesen Beweis in diesem längst vergangenen Moment. Etliche Menschen, ganze Ströme von ihnen, und ein Feuerwerk aus Klicks, und alle fotografieren sie doch dasselbe; die selben Orte, die gleichen Perspektiven; ich falle selbst in dieses Muster, ich entscheide, fotografiere, zeichne auf. Wozu, wozu eigentlich; vielleicht lieber mehr Jetzt und weniger Darstellung, weniger Darstellung ist immer wachsender Freiraum, aber eben ein Freiraum, den man nur selbst empfinden und nicht später beim Abendessen stolz herumzeigen kann.

Und man denkt, ein Tag sei vergangen, und dann sind es dreivierfünf seitdem, als zuletzt, vorhin. Gerade eben noch.

  underneath the grass would grow

"Nach dem Frühstück gleite ich von einer Hausarbeit in die nächste: Spülmaschine, Waschmaschine, Wäsche vom Vortag abnehmen, [...] Es ergibt sich, dass ich eine Schublade entrümple, und dann noch eine, und noch eine, vier sind es am Ende des Vormittags." - Fragmente
Es ergibt sich, diese Formulierung löst ein Wohlbehagen in mir aus, natürlich in Kombination mit dem Rest; weil ich mich erinnere, wie sich das anfühlt, weil ich das kenne - zu erkennen glaube. Entrümpeln, entstauben, Papiere ordnen, alte Dinge wiederfinden, immer wieder angestupst, angestoßen werden von Erinnerungen, und sich auch ganz willig anstupsen lassen, hin und her, ganz ohne Gewalt, ganz friedlich. Es ist ein Dahindümpeln der Gedanken, der Erinnerung, ein Loslassen des krampfhaften Effizienzdrucks, dem man einmal die Hand gab und der seitdem nie wieder losließ. Es ist ein Treibenlassen, im Schneidersitz auf dem Fußboden; man ist jung, verträumt und naiv in diesen Momenten, und man ist es gern. Geschehen lassen. Es ergab sich. Eine dünne Staubschicht, die sich ganz leicht, leicht pelzig auf die Zunge legt. Ein dünner Grauschleier. Feine Sandkörner. Vielleicht steht irgendwo eine vergessene Tasse kalten Tees. Das Selbst ist zerflossen, hat sich ausgebreitet wie eine träge Masse, träge und wohl, mit wabernder Schwere.

Diese Betrachtungen in der Retrospektive, darin liegt etwas Fesselndes, etwas Ungeheures. Vielleicht der Wechselwirkung wegen? Weil man doch die Vergangenheit ständig umbaut, neu deutet, mit neuer Erfahrung zu lesen lernt. Dort stand ich, und fühlte mich allein und verschämt und wollte rebellieren, und wusste nicht, wie. Hier stand ich, und hatte eine Vorstellung von der Liebe, von ihr als Konzept; das umfasste nicht mehr als eine große Begeisterung und den Wunsch, jemandem nah zu sein. 

Man vergisst sich und vergisst sich doch nicht, schließlich dreht sich alles ums Selbst; aber das Selbst auch um so vieles, das nicht Selbst ist!, all diese Erlebnisse, alles, was angesammelt wurde, empfunden, überwunden. Es ist wie: alte Wunden betrachten, mit einer gewissen Wehmut, beinahe als sehne man sich nach dem alten Schmerz, und bedauere, dass man nur ein schwaches Echo davon erinnert, ein Echo, das kaum noch zu hören ist, durch all die Schichten neuer Erlebnisse, durch den Filter des heutigen Kontexts. Durch das, was man weiß und damals nicht wusste, nicht wissen konnte. Gedämpft lauscht man diesem Echo (denn schließlich ist nicht das Echo als solches gedämpft), man lauscht und erinnert.  
 

take that dry blue pill

Wasser schlägt mir als Sprühregen ins Gesicht.

Es ist, als stünde ich auf einem kleinen Dampfer, nach langer Zeit an Deck getraut: nach draußen. An die Reling. Der Wind zerwirft mir die Haare. Nichts hält mehr, alles löst sich, entwindet sich, beinahe neckisch, und dabei die eigene, wachsende Alarmiertheit; wie sehe ich aus?, wie sehen mich die anderen; sogar das Lächeln verrutscht, verzerrt; alles flieht, alles entzieht sich dir. Retreat, der einzige Impuls, back to safety, der einzig vernünftige!; dieser Machtlosigkeit entfliehen, dem Bodenlosen. Diese Ohnmacht!, die so wahllos um sich greift, sich so unverschämt aufdrängt; die dich umzustülpen droht, innen nach außen, und dann sehen das alle, und DANN?

Aber – Wenn man nur einen Moment länger bleibt. Wenn man sich nur entscheidet, sich der Ohnmacht auszuliefern!, genau dieser Moment, in dem man sich ergibt, dem Zerren und Schwanken, dem Nassen, Unvorhergesehenen, dann - muss man lachen!, muss man einfach, es bricht heraus, dieses Lachen, und dann spürt man die Freiheit, die mit der Ohmacht kommt, die sich dahinter versteckt hat und dir jetzt zujubelt, die jubelt in deinem Bauch und du weißt, du bist echt in diesem Moment, echt, schonungslos echt, wahrhaftig und unverschleiert, und alle um dich herum sind ihr ebenfalls ausgesetzt, dieser Ohmacht; dem Fahrtwind und dem wilden Wasser, alle sind hier und du mittendrin, und alle gleich: machtlos, herrlich machtlos. 
 

bound by the other side

Ich habe dir nie gesagt – vielleicht, weil es mir nicht bewusst war – wie ich es empfinde, dass du rauchst und trinkst und betrunken vom Fahrrad fällst, und lachend wieder aufstehst und weiterfahren willst. Ich dachte, ich empfinde hauptsächlich Angst, Angst um dich, und die empfinde ich auch, aus reinem Egoismus: Angst davor, dich zu verlieren. Angst, dass du nicht mehr da sein könntest. Dann will ich dich schütteln, dir die Zigarette aus der Hand reißen und sagen, Lass das, bitte!, ich will, dass du lebst, so lang wie möglich, und so lang wie möglich Teil meines Lebens bist. Aber dann ist da noch eine andere Empfindung, und die kann ich erst jetzt benennen: Es ist eine Art Bewunderung, eine Hochachtung, I'm in awe of how you treat life, of how you feel that life can only be worth living if you can enjoy it, und das ist genau das, was ich mich nicht immer traue, nur manchmal, und meist mit Gewissensbissen, mit Vorsicht. 

Aber dann stehe ich am Balkon und habe mir eine halbe Zigarette zusammengebastelt, aus dem Paper von einem Joint und völlig vertrockneten Tabakkrümeln, und ich stehe da; der Wind reißt mir die improvisierte Kippe fast aus der Hand, aber ich fühle mich so frei, so losgelöst. Was will ich denn vom Leben anderes, als es zu erleben? Was soll ich denn damit, wenn mich nichts berühren kann, und ich mir nichts zu eigen mache?

hit the high notes

Ein Wiedererkennen. Hallo, sagen unsere Lippen zur Haut, sagen unsere Körper. Hallo, und: Wo warst du?, und: endlich.

Der Taxifahrer spielt Jazz, und die Straße zieht vorbei, vorbei, die Nacht läuft nicht langsam genug; ich will, dass wir sie einholen. Schneller, schneller soll er fahren. Es fühlt sich richtig an. Der Ton in ihrer Stimme, Kannst du herkommen? Kannst du dir ein Taxi nehmen? Und in meinem Kopf surrt es, rastet ein, völlige Klarheit, bewusst, entschlossen. Ich fahre. Natürlich fahre ich. Sie will mich sehen, sie will, dass wir uns nah sind, und ich spüre das in ihrem Tonfall, über Kilometer und Kilometer hinweg. Was auf mich eingeredet wird, prallt an mir ab. Die Entscheidung ist längst gefallen, und ich weiß das, und es tut wahnsinnig gut.

Dann stehst du da, mit dem Geldbeutel in der Hand; Hast du das Geld? Dann die Hände, ganz automatisch, wir halten uns fest, du kriechst in mich rein. Du kriechst in mich rein, und ich halte dich. Verlegen bist du, ein bisschen, und überrascht, als ich frage, ob ich tatsächlich in die Wohnung darf. Dass ich mich vorbereitet habe. Dass sie ihre Meinung geändert haben könnte, während meiner Fahrt. Wer weiß das schon?

Nein. Sie legt Pyjamas raus, erst nur für sich, dann auch für mich. Sie gibt mir den Laptop und dirigiert mich ins Zimmer. Sie putzt die Zähne und ich schlingere durch die Wohnung, von hier nach dort und zurück, weiß nicht wohin, weiß nicht, was passiert.

Was passiert? Ich nenne es 'Lovers Back'. Sie nennt es 'The Nightly Call'. Ich nenne es 'True Love Always Wins'. Sie lacht.