Wie sie mich ansah, und in diesem
Moment brachen sämtliche Barrikaden, stürzte das Bild, das ich von
ihr hatte, lautlos in sich zusammen. Ihr Blick erinnerte mich an den
eines Tieres; hastig, nervös witternd, auf dem Sprung.
Ich hatte sie einige Stunden zuvor noch
in der Stadt gesehen; sie war geradewegs an mir vorbeigelaufen
während ich, an eine Wand gelehnt, gegen die Sonne blinzelte. Sie
wirkte kalt, und abweisend. Auf arrogante Weise zielstrebig. Sie hatte mich nicht gesehen,
oder selbiges vorgegeben. Aber später, im Kurs, hatte sie mir wieder so zugelächelt, dass mein Herz einen Satz machte. Auf dem Weg zur Kneipe hatte ich immer wieder einen
Blick zurück geworfen, um sicherzugehen, dass sie tatsächlich noch
da war. Sie lief allein; die Arme vor der Brust verschränkt, ihre
Jacke zusammenhaltend.
Als sie kurz vor
der Kneipe in eine Seitenstraße abbog, hatte ich mir gedacht, dass
sie sich wohl umentschieden, dass sie nun doch keine Lust mehr hatte.
Ich verstand nicht. Das Fahrrad war in Windeseile angekettet, dann
spurtete ich los. Jemand tönte hinter mir her, was denn los sei,
aber es war keine Zeit, etwas zu entgegnen. Sie war noch nicht weit
gekommen, als ich nach ihr rief.
Es war einer dieser Momente, in denen
man keine Zeit hat, sich einen Plan zurechtzulegen. Ich hatte keine
Ahnung, was ich wollte; mich trieb die Ungewissheit, und der Trotz.
Warum lächelte sie mir so zu, um dann in der nächsten Seitengasse
zu verschwinden?
Und jetzt, anstelle der Arroganz und
der Kälte, die ich von ihr erwartete, warf sie mir den Blick
eines Tieres zu, das geschlagen wurde, und nun selbst vor
liebkosender Hand zurückschreckt. „Hey“,
sagte ich noch einmal. Ich war stehen geblieben als ich das erste Mal
nach ihr gerufen hatte, als sei das nicht möglich: Laufen und Rufen
zugleich. „Ich dachte, du kommst heute mit?“ Das Fragezeichen
klang deutlich an, aber nicht fordernd, nicht beschuldigend. Ein
Lächeln zuckte über ihr Gesicht. „Ja, ich“, setzte sie an, „Ich
kann nicht, da sind zu viele... Zu viele Menschen. Das ist … Das
ist zu viel für mich, …“ Ich starrte sie an. Damit hatte ich
nicht gerechnet.
Mühsam schaltete ich. Was sagst
du jetzt, zermarterte sich mein Gehirn, was, wie! „Wie heißt du?“
Die Frage war so unpassend wie naheliegend. Seit zwei Wochen rätselte
ich schon, wie sie wohl heißen mochte. „A.“, sagte sie, und mich
schüttelte innerlich ein hysterischer Lachkrampf. Der Name scheint
sich wie ein roter Faden durch mein Leben zu ziehen. „Ich bin J.“,
sagte ich, und ging ihr langsam entgegen. Vielleicht wusste sie das
schon, aber es schien mir wichtig, ihr im Gegenzug meinen Namen zu
sagen. Scheu machte sie ebenfalls ein paar Schritte auf mich zu.
„Ich weiß, dass es lächerlich
klingt“, sagte sie, und ich dachte, Absolut nicht, aber ausgerechnet von ihr? Tränen standen in ihren
Augen, und ich spürte den Impuls, ihren Arm zu berühren, ihr
haltgebend über den Rücken zu streichen. Würde es sie
verschrecken? Wir setzten uns auf die Treppenstufen eines
Hauseingangs, und sie begann, zu erzählen, als sei ich ihr vertraut; als seien wir einander vor Jahren begegnet und längst die besten Freundinnen.
Da ist was zwischen euch, sagte M. später. Die Frage ist nur, was. Mach dir nicht zu viel Hoffnung.
Da ist was zwischen euch, sagte M. später. Die Frage ist nur, was. Mach dir nicht zu viel Hoffnung.