ghost town, haunted love

Vielleicht muss man einfach diese Höhenflüge des Übermuts zulassen, sich der maßlosen Selbstüberschätzung ergeben – Wenn dabei ein Funken Glück herausspringt, ist es vielleicht die verworfene Moral wert.

M. hatte das Eis aus der Tiefkühltruhe gezerrt; wir hatten die Limetten zerteilt, verteilt in die Gläser, zuunterst, und mit dem Stößel zerdrückt; einen Löffel Rohrzucker dazu, und umgerührt. Immer wieder abgeschmeckt, nachgefüllt; bis es erreicht war: Das Prickeln. Der charakteristische Geschmack; sauer und süß zugleich, die Zunge kann sich nicht entscheiden, sie will es auch gar nicht, und sie schmeckt und schmeckt, und kann nicht genug bekommen.

Irgendwann saß R. auf der Fensterbank, rauchend und gestikulierend, und wir lauschten gespannt, und dann lachten wir und es war spät geworden. Flüchtig die Augen verziert, die Wimpern in Tusche getunkt - „Es ist schon so lange her!“ - und in irgendein Top geschlüpft, das sich gut anfühlte. Soll ich die Schuhe anziehen?, die schwarzen? Dann aber eine andere Hose, sagt M., und ich frage, Soll ich?, und sie sagt, Man muss zeigen, was man hat!

Lachend also in die Hose schlüpfen und sich leise fragen, was bei gegenteiliger Entscheidung anderes passieren würde; andere Hose, andere Schuhe, anderes Gefühl – Aber nicht im Paralleluniversum versinken, weil dazu keine Zeit ist. Das Geld vergesse ich auf dem Kopfkissen, aber das merke ich erst, als ich später an der Bar stehe; das Handy stecke ich ein, den Schlüssel, den Ausweis. Jemand greift die Sektflasche, und die Bahn kommt zu spät, aber das macht nichts, und wir albern und fahren der Party entgegen.


Und die Party übergießt uns mit Schwarzlicht. Ich sehe, wie mich eine anschaut, und lächle in mich hinein; später ende ich mit meinem Mund auf ihrem, aber das weiß ich noch nicht, mich freut nur die Möglichkeit. Ein Inder bietet mir etwas an, das ich für eine Zigarette halte, aber viel stärker schmeckt; der Rauch des Zigarillos schmeckt beißend, schmeckt nach überhaupt nichts als Rauch. Wir klettern durch ein Fenster und wacklig-feuchte Treppenstufen hinunter; setzen uns auf eine hölzerne Hollywood-Schaukel und kreischen vor lauter Leichtsinn. Jemand sagt mir, mein Englisch klinge nicht amerikanisch, und macht mich damit selig. Jemand beharrt standhaft darauf, Lady Gaga zu sein. Der Inder zwinkert mir zu. R. dreht sich eine Kippe nach der anderen und verliert dabei die Hälfte seines Tabaks. Ich friere, ich friere wahnsinnig; ich kuschle mich an M., die den Abend mehr erträgt als genießt, und lausche und wippe und rede und lache und huste und stürze mich wieder ins Getanze, und da ist sie wieder, die mit den kurzen, dunklen Haaren und dem ernsten Blick, und ich überlege nicht viel, ich habe mich längst entschieden.

Als ich ihren Körper direkt hinter meinem spüre, muss ich lächeln; sie legt ihre Hände an meine Hüften und will mit mir im Einklang sein, will mit mir tanzen. Zwischen Verlegenheit und Triumph hin und her gerissen, schließe ich die Augen. Dann drehe ich mich zu ihr um; und sie sieht, und versteht, und lässt es geschehen. Die Musik bricht über uns zusammen, die Gesichter werden zu Hintergrundrausch; vielleicht ist Küssen das, was ich am besten kann, und ich kann endlich aufhören, zu suchen. Jedenfalls will ich nicht aufhören damit; will nicht, dass sie mich anschaut und vielleicht Fragen stellt, und will mich auch nicht mit dem befassen, was danach kommt, was kommen könnte und nicht soll. Willnichtwillnicht, wie ein Kind sauge ich mich an ihren Lippen fest, und sie lacht und sagt, Du bist süß, und später fragt sie, wovon es abhängt, ob wir uns wiedersehen; und ich antworte vage, und mache eine Handbewegung, die alles und nichts bedeuten kann. 

Sie versteht. Sie sagt nicht mehr viel; sie fragt nicht nach meinem Namen oder meiner Nummer, und ich bin froh, nicht lügen zu müssen. 

Später presst der Inder seinen Mund auf meinen, um mir zu beweisen, dass Männer nicht schlechter küssen. Er erinnert mich an ein Tier, ohne, dass ich sagen könnte, weshalb. Seine unrasierte Mundpartie ist an meinen Lippen wie Reibeisen; nicht unbedingt unangenehm, aber auch nicht schön. Das ist einfach nicht das, was ich unter einem Kuss verstehe; ich erkläre es ihm nicht, sondern mache mich behutsam los, und wir folgen den anderen zur Bahn. 

9 comments:

  1. Ich mag das!

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  2. Ja, vielleicht...vielleicht muss man sich wirklich manchmal der maßlosen Selbstüberschätzung ergeben, vielleicht ist das wirklich hilfreich, für einen selbst, denke ich gerade so bei mir. Warum auch nicht, was spricht dagegen, wie du schon sagst - für einen Funken Glück lohnt es sich. Damit dann vielleicht sogar einer dieser Momente draus wird, die für immer bleiben, in der Erinnerung.
    LG!

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    1. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich immer lohnt; kann dabei nicht auch so einiges auf der Strecke bleiben? Und ewig diesen Funken nachzujagen, kann ja auch nicht das Wahre sein.

      Wenn daraus einer dieser Momente wird - Gut. Dann. Ja.

      Gruesse zurueck!

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  3. würden wir uns nicht hin und wieder selbst ein- und überschätzen, wäre vieles nicht passiert. gut, das ist müssig. parallelleben, wie viele lebe ich? hauptsache ich bin. und du. und du.

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  4. Oh, das war grossartig. Abends ist die Luft komisch, aber immer wenn ich versuchte die Stimmung zu beschreiben kam nur Blödsinn raus. Und was du geschrieben hast fasst das Nachtgefühl perfekt in Worte. Toll!

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  5. Man will dabei sein und mitrauschen! Du verkaufst mit das leben lebenswert:) ich hoffe das ist es auch?!

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  6. ... Achso : und vielleicht ist selbstüberschätzung manchmal die einzig richtige einschätzung der eigenen möglichkeiten! Immer im engen rahmen bleiben? Wo soll weiterentwicklung hergestellt werden? "weil all diese schranken und weichen

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  7. "weil durch all diese schranken und weichen man falsche entscheidungen fällt - oh du trostlose welt!" (m)

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