read my lips

Und dann waren wir mit einem Mal allein in der Dunkelheit, sie wollte ihre Schlafsachen holen und ich ergriff die Gelegenheit, ergriff sie und folgte ihr. Während sie alles zusammenklaubte, stand ich an einen Stuhl gelehnt und spürte die Schwere der Situation auf mich niederfallen.

Das hatte ich mir gewünscht, mit ihr allein zu sein und dann, ein paar Worte nur, sie vielleicht an mich ziehen. Ich stand da und konnte nicht, konnte kein Wort herausbringen, keins, das von Belang gewesen wäre. Ich war wie gelähmt. Einerseits wollte ich, wollte mehr als alles andere ihre Lippen schmecken und in ihrem tiefen Blick ertrinken, und andererseits ... überwog die Angst. War es Angst? Unsicherheit. (Dabei war ich mir doch so sicher gewesen.) Ich half ihr, die Sachen zu tragen, das war alles.
Und bei der Umarmung zum Abschied musste ich lächeln, kopfschüttelnd, ich gab wohl auch ein Geräusch von mir, das leicht tadelnd klang, und sie fragte, „was?“, was ist, was habe ich getan, was hast du denn. Du hättest mich küssen sollen, wollte ich erwidern, wieso hast du das nicht, wieso lässt du etwas in mir auflodern und löschst es nicht, sondern schürst es nur immer weiter, wieso?
Es ist ein Spiel von ihr, verstand ich in diesem Moment, und deswegen so missbilligend / spöttisch. Ich durchschaute sie, sah auf sie herab und bin doch gleichzeitig Teil ihres Spiels, bin Spielzeug und Marionette in einem. Ernüchternd, erst später.
Warum muss das Leben so kompliziert sein, fiel mir an der Haustür ein, und eigentlich ist es doch so einfach.

3 comments:

  1. 'Du hättest mich küssen sollen, wollte ich erwidern…' - manchmal muß man sowas einfach unbewußt aussprechen.

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  2. aussortierungs-prozess laesst gedanken dieser art nicht passieren, laesst die worte auf der zunge festkleben.

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  3. das ist ein schöner text. vielleicht hättest du es einfach versuchen sollen sie zu küssen...

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